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Marfan Hilfe (Deutschland) e.V.

Beim Marfan-Syndrom kommt es neben den klassischen Störungen im Herz, Gefäß- und Skelettsystem auch zu charakteristischen Veränderungen des vorderen Augenabschnittes.

In ca. 50 % der Fälle beobachtet man bei Patient:innen mit Marfan-Syndrom Subluxationen (Verschiebung aus dem optischen Zentrum) oder Kolobome (nicht vollständiger Anlage) der Augenlinse und ihres Aufhängeapparates, der sog. Zonulafasern. Dies führt dazu, dass die Linse sich kugelig oder irregulär verformt und in der optischen Achse nicht das Zentrum der Linse, sondern Randpartien der Linse zu liegen kommen. Hierdurch wird das Auge stark kurzsichtig (myop) und es resultiert eine hohe und meist nicht reguläre Stabsichtigkeit (Astigmatismus). Diese optischen Fehler können bei stärker ausgeprägten Verschiebungen und Kolobomen in vielen Fällen nicht mit Brillen oder Kontaktlinsen ausgeglichen werden.

Zur Verbesserung des Sehvermögens ist es dann notwendig, die Augenlinse operativ zu entfernen, und sie durch eine Kunstlinse zu ersetzen.

Normale Kataraktchirurgie heute

Die Entfernung der Augenlinse und ihr Ersatz durch eine Kunstlinse wird heute in Form der Staroperation bei vielen, meist älteren Menschen durchgeführt. Hier ist aber nicht wie beim Marfan-Syndrom eine Verformung oder Verlagerung der Augenlinse der Grund für die Operation sondern eine Sehverschlechterung durch eine allmähliche, oft altersbedingte Eintrübung der Linse (sog. grauer Star oder Katarakt). Die Staroperation ist heute der am häufigsten durchgeführte Eingriff in der gesamten Medizin überhaupt. Allein in Deutschland werden im Jahr ca. 500 000 Staroperationen durchgeführt.

Bei der Kataraktoperation wird heute im Allgemeinen wie folgt vorgegangen. Die Linsenkapsel – ein durchsichtiges, die Linse umschließendes Häutchen – wird an ihrer Vorderseite durch Ausreißen eines zentralen, kreisrunden Stücks eröffnet. Das Linsenmaterial wird dann mit einer Ultraschallsonde zertrümmert und abgesaugt (sog. Phako-Emulsifikation). In den jetzt leeren Kapselsack wird eine Kunstlinse eingesetzt.

Normale Kunstlinsen, die für die Implantation in den Kapselsack vorgesehen sind, bestehen meist aus einer runden, durchsichtigen und mit einer definierten Brechkraft versehenen Optik mit einem Durchmesser von 5,5 – 6 mm. In diesem optischen Anteil der Kunstlinse sind 2 Beinchen verankert (die sog. Haptiken), die sich im Äquator des Kapselsacks abstützen und so die Linse in der Mitte halten.

Besonderheiten bei Marfan-Patient:innen

Bei Marfan-Patient:innen ist das Bindegewebseiweiß Fibrillin fehlgebildet. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des elastischen Aufhängeapparates der Linse, den sog. Zonulafasern. Als Folge sind beim Marfan-Syndrom die Zonulafasern lockerer und in ihrer Zahl vermindert. Stellenweise fehlen sie ganz.

Konsequenz dieser Besonderheit ist eine Lockerung, u. U. Verschiebung der Augenlinse hinter der Iris (sog. Subluxation der Linse). In fortgeschrittenen, sehr seltenen Fällen kann sich die Linse ganz aus ihrer Zonulaaufhängung lösen und sich dann frei im Glaskörperraum hinter der Iris bewegen.

Nicht selten finden wir einen nur segmentalen Defekt der Zonula. Hier sind die Zonulafasern an einem Teil des Linsenumfangs normal ausgebildet und verleihen der Linse einen festen Sitz hinter der Iris. Im Bereich des Zonuladefektes fehlt die regelrechte Ausspannung der Linsenkapsel und in diesem Bereich kommt es zu einem gestörten Linsenwachstum. Die Linse weist dann hier eine Eindellung (sog. Linsenkolobom) auf, die bis in die Mitte der Pupille reichen kann.

Das Sehvermögen ist bei Marfan-Patient:innen dann gestört, wenn – sowohl bei der Linsensubluxation als auch beim Linsenkolobom – statt der regelmäßig gekrümmten Linsenmitte der unregelmäßig geformte Linsenrand hinter der Pupille erscheint.

Entfernung der Augenlinse bei Marfan-Syndrom

Das geschilderte Vorgehen bei der normalen Kataraktoperation ist bei Marfan-Patient:innen oft nicht möglich. Die Aufhängung des Linsenkapselsacks an den Zonulafasern ist meist zu schwach, weil ja das bei Marfan-Patient:innen fehlgebildete Bindegewebseiweiß Fibrillin ein wesentlicher Bestandteil der Zonulafasern ist.

Je nach Ausprägung der Linsenverlagerung und nach der Festigkeit der Zonulafasern muss daher abweichend vorgegangen werden. Die moderne Ultraschallabsaugung der Linse kann bei einem überwiegenden Teil der Patient:innen zur Linsenentfernung eingesetzt werden. Bei extrem lockerer Zonula kann eine Phako-Emulsifikation (Ultraschallabsaugung der Linse) nicht vorgenommen werden. In Einzelfällen kann es daher u. U. sinnvoll sein, die gesamte Linse mit ihrer Kapsel durch einen großen Schnitt mit einer Kältesonde aus dem Auge zu extrahieren (sog. Kryoextraktion).

Implantation einer Kunstlinse bei Marfan-Syndrom

Aus dem gleichen Grunde kann der Kapselsack bei Marfan-Patient:innen nach Entfernung der Linse nicht ohne weiteres – wie bei der normalen Kataraktchirurgie – als Aufenthaltsort für die Kunstlinse verwendet werden. Nur in seltenen Fällen sind wenigstens teilweise ausreichend feste Zonulafasern vorhanden, sodass der Kapselsack durch einen kleinen elastischen Kapselspannring aus Plexiglas stabilisiert werden kann. Unter Umständen kann ein solcher Ring durch eine Fixationsnaht im Auge festgenäht werden (sog. Cionni-Ring).

In anderen Fällen mit sehr lockerer Zonulaaufhängung muss der Kapselsack zugleich mit oder nach Entfernung der Augenlinse aus dem Auge herausgezogen werden. Will man dann eine Kunstlinse ins Auge implantieren, muss diese durch Haltefäden im Auge (im so genannten Sulcus ciliaris) festgenäht werden. Auch diese Technik wird gelegentlich bei Patient:innen ohne Marfanproblematik eingesetzt und führt dort in der Regel zu exzellenten Ergebnissen.

Es ergibt sich hieraus, dass eine Kunstlinsenimplantation bei Marfan-Patient:innen zwar immer möglich, u. U. aber technisch schwierig ist. Wir pflegen in allen Fällen von Linsenoperation bei Marfan-Syndrom eine Kunstlinse zu implantieren.

Komplikationen nach Operation eines Marfanauges

Auf zwei besonders wichtige Komplikationen der Linsenchirurgie bei Marfan-Patient:innen wollen wir hier hinweisen: Netzhautablösung und Iris-Capture-Syndrom.

Netzhautablösung nach Operation des Marfanauges

Seit Jahrzehnten wird von Publikation zu Publikation weitergegeben, nach der Operation von Marfanaugen komme es äußerst häufig zur Entwicklung von Netzhautablösungen. Die Häufigkeit beträgt nach diesen statistischen Angaben bis zu 30 Prozent der operierten Fälle. Als Ursache wird im Allgemeinen angeführt, dies hänge mit der Häufigkeit hochgradiger Kurzsichtigkeiten beim Marfan-Syndrom zusammen. Beides ist falsch: die Häufigkeit von Netzhautablösungen und der angegebene Grund.

Dass hochgradig kurzsichtige (myope) Augen häufiger eine Netzhautablösung entwickeln als nicht kurzsichtige, stimmt zwar. In den erheblich vergrößerten Augen der Kurzsichtigen (sog. Achsen-Myopie) entwickelt die Netzhaut Dehnungsveränderungen, Degenerationen und schließlich Löcher, die die Ursache der dann eintretenden Netzhautablösung sind.

Marfan-Patient:innen mit Linsensubluxation oder Kolobom sind zwar auch häufig kurzsichtig, aber nicht weil ihr Auge vergrößert wäre, sondern weil ihre verformte und oft kugelige Linse stärker bricht (sog. Linsen-Myopie). Dass Marfan-Patient:innen in typischer Weise auch ein verlängertes Auge hätten (Achsen-Myopie), stimmt nicht, wie wir aus vielen Achsenmessungen mit Ultraschall an Marfan-Patient:innen wissen. Hohe Achsen-Myopien sind bei Marfan-Patient:innen zwar nicht ausgeschlossen, aber genauso selten wie in der Normalbevölkerung.

Wir fanden bei der Auswertung einer Gruppe von 32 bei uns in den letzten 2 Jahren operierten Marfan-Patient:innen eine mittlere Achsenlänge von 24.3 mm. Das unterscheidet sich nicht signifikant von der Achsenlänge von normalen Patient:innen, die in der Literatur im Allgemeinen mit 24 mm angegeben wird.

Dementsprechend ist (heute) auch das Auftreten einer Netzhautablösung kein typisches oder gar häufiges Problem nach Linsenoperation bei Marfan. Wir selbst haben in den letzten 10 Jahren nur einen einzigen Fall von Netzhautablösung gesehen.

Dass aber in der Tat in der (vorwiegend) älteren Literatur häufig über Netzhautablösungen berichtet wurde, liegt nicht an einem besonderen Ablösungsrisiko des Marfanauges, sondern an den noch recht unvollkommenen Operationsmethoden, mit denen man früher die subluxierten Linsen von Marfan-Patient:innen operiert hat. Bis vor wenigen Jahren war es noch üblich, beim Marfanauge nach breiter Eröffnung die subluxierte Linse mit einer Metallschlinge aus dem Auge zu hebeln. Mit den modernen Kleinschnitt-Verfahren der Vorderabschnittschirurgie und der Ultraschallabsaugung der Linse (Phako-Emulsifikation) ist die Gefahr einer Netzhautablösung beim Marfan-Patient:innen nicht höher als bei ''normalen'' Altersstarpatient:innen.

Gerade im Hinblick auf die Netzhautablösung als möglicher Komplikation der Linsenoperation ist es sinnvoll, in jedem Fall eine Kunstlinse ins Auge zu implantieren. Die Kunstlinse bildet eine Trennung zwischen vorderem und hinterem Augenabschnitt, sozusagen einen ''Deckel'' hinter der Pupille. Dies stabilisiert den Glaskörperraum, verhindert einen Vorfall von Glaskörper durch die Pupille und bietet daher auch bei stark kurzsichtigen Augen die beste Prophylaxe gegen die Entstehung einer Netzhautablösung nach Linsenoperation.

''Iris-Capture'' nach Kunstlinsenimplantation

Auch der vordere Augenabschnitt (Vorderkammer) weist bei Marfan-Patient:innen häufig anatomische Besonderheiten auf, die zu typischen Problemen führen können. Die Regenbogenhaut (Iris) bildet die Blende des optischen Apparates Auge, die so genannte Pupille. Die Weite der Pupille hängt vom Spannungszustand der Irismuskulatur ab und passt sich in einem Regelkreis der Umgebungshelligkeit an.

Bei normalen Patient:innen ist die Iris wie ein Zeltdach im Auge ausgespannt. Bei Patient:innen mit Marfan-Syndrom ''hängt'' dieses Zeltdach häufig nach hinten durch und nähert sich dabei der oft nach hinten verlagerten Linse. Es resultiert eine sehr tiefe vordere Augenkammer und ein in typischer Weise vergrößerter Winkel zwischen der Hornhaut und der Irisbasis.

Normale Kunstlinsen, die für die Implantation in den Sulcus ciliaris vorgesehen sind, bestehen meist aus einer runden, durchsichtigen und mit einer definierten Brechkraft versehenen Scheibchen (Optik) mit einem Durchmesser von 5,5 – 6 mm. In diesem optischen Anteil der Kunstlinse sind 2 Beinchen verankert (Haptik), die sich schlaufenförmig im Sulcus ciliaris ausspannen und dort durch 2 Nähte verankert werden können.

Dies kann bei Marfan-Patienten aufgrund des oben erwähnten besonderen Baus des vorderen Augenabschnitts problematisch sein. Wenn die Pupille z.B. im Dunkeln oder im Schlaf weit wird, kann es passieren, dass der Rand der Regenbogenhaut (Iris) hinter den Rand der Optik der Linse rutscht. Wenn die Pupille sich bei Lichteinfall wieder verengt, kann dann die Optik der Kunstlinse vor der Iris eingeklemmt werden. Der Pupillenrand kommt dann ganz oder teilweise hinter der Kunstlinse zu liegen. Wir sprechen von Iriseinklemmung oder im Englischen Iris-Capture.

Im akuten Fall kann dies meist durch Augentropfen korrigiert werden. Die Pupille wird zunächst medikamentös erweitert und – nach ''Befreiung'' der Linse – wieder eng gestellt wobei sie dann wieder an ihrem richtigen Ort vor der Kunstlinse zu liegen kommt. In einigen Fällen gelingt dies nicht und die Linse muss durch einen kleinen operativen Eingriff wieder an die richtige Position gebracht werden. Wenn dieses Problem häufiger auftritt, kann es notwendig sein, die Pupille dauerhaft durch die regelmäßige Anwendung pupillenverengender Tropfen eng zu halten.

Chirurgisches Vorgehen bei Marfanaugen

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass man bei der Operation von Marfanaugen nicht wie beim Altersstar nach Schema F vorgehen kann. Vielmehr muss nach genauer Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalls eine differenzierte Planung der bevorzugten chirurgischen Technik erfolgen. Das gilt sowohl für die bevorzugte Technik der Linsenentfernung als auch für die der Kunstlinsenimplantation.

Folgende Strategien kommen bei der Linsenoperation eines Marfanauges in Betracht:

A. Bei mäßig gelockertem Zonulaapparat oder einem kleineren segmentalen Zonuladefekt kann die Linse mit der Ultraschallmethode (Phako-Emulsifikation) entfernt werden, der Kapselsack wird durch Einsetzen eines Kapselsackspannringes stabilisiert und eine normale faltbare Kunstlinse kann in den Kapselsack implantiert werden. Bei größeren segmentalen Defekten kann es sinnvoll sein, einen festnähbaren sog. Cionni-Spannring zu verwenden.

B. Bei sehr ausgeprägten Subluxationen oder sehr großen segmentalen Defekten (Linsenkolobomen) lässt sich die Linse zwar auch mithilfe der schonenden Phako-Emulsifikation durch einen kleinen Schnitt entfernen, der verbliebene Kapselsack ist aber für die Aufnahme der Kunstlinse zu locker oder zu klein. In diesem Fall wird auch der Kapselsack nach der Phako-Emulsifikation entfernt und eine faltbare Linse wird durch den kleinen Schnitt ins Auge implantiert und hinter der Iris festgenäht.

C. Bei extrem gelockerter Linsenaufhängung und zugleich altersentsprechender Verhärtung der Linse (z.B. Marfanlinse älterer Patient:innen mit zugleich bestehendem grauen Star) kann die Entfernung mit Ultraschall unmöglich sein, da dann der Verlust der getrübten Marfanlinse in den Glaskörperraum droht. In einem solchen (sehr seltenen) Fall kann auch heute noch die breite Eröffnung des Auges und die Ausziehung der Linse mit einer Kältesonde das sinnvollste Verfahren sein. Da hier die Linse mit ihrem Kapselsack entbunden wird, muss die Kunstlinse wie in Fall B hinter der Iris festgenäht werden.

/ Prof. Dr. Hans-Reinhard Koch und Dr. Sven Kulus, Bonn

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