Stimmbandlähmung als OP-Folge
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In der Vergangenheit ist es bei einigen Marfan Betroffenen nach einer Herz. bzw. Aortenoperation zu einer Stimmbandlähmung gekommen. Da diese Komplikation der Stimmbandlähmung (ausgelöst durch Verletzung des Nervus recurrens) kaum in medizinischen Büchern beschrieben ist, nahmen wir das zum Anlass dies zu hinterfragen. Als Gesprächspartner stand uns Herr Dr. Tim Bressmann aus Toronto/Kanada zur Verfügung.
Wie verläuft der Nervus recurrens und wodurch kommt es bei Operationen zur Stimmbandverletzung?
Der Nervus recurrens zweigt aus dem N. vagus, dem 10ten Hirnnerv ab. 'Vagus' bedeutet 'wandernd', und der Name ist ganz passend: Der Vagus entspringt an der Schädelbasis und wandert abwärts. Für die Innervation (nervale Versorgung von Körpergeweben und Organen) des Kehlkopfes sind zwei Arme des Vagus bedeutsam: Der Supralaryngeale Nerv ist vor allem für sensorische Information wichtig (d.h., Gefühl). Für die motorische Kontrolle der inneren Kehlkopfmuskulatur ist der N recurrens zuständig. Der recurrens teilt sich erst unterhalb des Schlüsselbeins vom Vagus ab. Während der rechte recurrens sich um die Schlüsselbeinarterie schlingt und dann wieder aufsteigt, macht der linke recurrens einen größeren Umweg um den Aortenbogen. Beide kehren von unten in den Kehlkopf zurück und steuern dort die Bewegungen der Stimmlippen. Dieser lange Umweg macht die beiden Nerven sehr anfällig für periphere Schädigungen. Eine Durchtrennung der Nerven führt zur Stimmlippenlähmung. Bei herzchirurgischen Eingriffen am Aortenbogen kann es zur Dehnung oder Durchtrennung des Nervus recurrens kommen.
Wie hoch ist das Risiko eine Stimmbandverletzung zu bekommen?
Boehme (1997) schätzt mit Bezug auf Kittel (1986), dass bei 1 - 2 % der Eingriffe an den großen Herzgefäßen Stimmlippenlähmungen auftreten. Stimmlippenlähmungen können weiterhin auftreten nach Aortenrupturen oder Aneurysmen, sowie als Folge einer schlecht platzierten (oder hektischen) Intubation.
An welche Spezialisten sollte man sich bei einer Stimmbandlähmung wenden?
Der Hals-Nasen-Ohrenarzt, jedoch besser der spezialisierte Phoniater ('Stimmarzt') kann am besten entscheiden, welche Behandlungsform angemessen ist. Er kann den Kehlkopf mit einem Spiegel betrachten und mit einem speziellen endoskopischen Verfahren (der Videostroboskopie) die Stimmlippenbewegungen sichtbar machen und entscheiden, welche Form der Stimmlippenlähmung vorliegt. Von der Stellung der gelähmten Stimmlippen hängt der Behandlungserfolg ab: Ist die Stimmlippe in Phonationsstellung (d.h. in der Verschlussposition) oder parallel dazu gelähmt, dann kann die andere Stimmlippe meistens gut einen Verschluss herstellen. Ist die betroffene Stimmlippe jedoch in weiter Öffnungsstellung eingestellt, dann kann die andere Stimmlippe in der Regel nicht kompensieren. Stimmlippenlähmungen sind häufig gekennzeichnet durch eine heisere Stimmqualität mit oft hörbarem Luftverlust.
Wie sind die Behandlungsmöglichkeiten und kann der Nerv wieder vollständig zur Funktion gebracht werden?
Der erste Behandlungsschritt sollte zunächst eine konservative (d.h. übende) sprachtherapeutische Behandlung durch einen Logopäden oder Sprachtherapeuten sein. Wenn ein kompensatorischer Stimmlippenschluss nicht durch Üben erreicht werden kann (z.B., weil die betroffene Seite in weiter Öffnungsstellung steht), dann sind phonochirurgische Maßnahmen möglich. Durch eine Operation kann die betroffene Stimmlippe weiter in die Mitte verlagert werden, so dass die gesunde Seite einen vollständigen Verschluss erreichen kann. Eine andere Möglichkeit ist es, mit einer Injektion die betroffene Stimmlippe etwas aufzuplustern, so dass sie größer und massiger wird. Nach der Operation ist wiederum Sprachtherapie notwendig.
Allerdings wird eine solche Korrekturoperation nicht immer sofort durchgeführt, sondern spontane Verbesserungen der Stimme werden oft erst einmal abgewartet. Es handelt sich bei den durch Recurrensverletzungen entstandenen Lähmungen ja um schlaffe Lähmungen. Bei einer schlaffen Stimmlippenlähmung baut sich das Muskelgewebe der betroffenen Stimmlippe im Laufe von Monaten ab, weil der Muskel durch keinen Nerv mehr beschäftigt wird. Dies führt zu einem Kollaps der betroffenen Seite, die gelähmte Seite fällt sozusagen in den Raum zwischen den beiden Stimmlippen. Damit wird der Abstand zwischen den beiden Stimmlippen wieder kleiner und die Stimmqualität bessert sich. Deswegen lohnt es sich oft, unter logopädischer Betreuung zunächst einmal ein paar Monate zu warten.
Wie erklärt sich der Umstand, dass man Schwierigkeiten beim Luftholen oder beim Abhusten hat?
Schwierigkeiten beim Luftholen liegen vor allem bei beidseitigen Stimmlippenlähmungen vor, wenn beide Stimmlippen in Verschlussposition fixiert sind. Hierdurch wird der Atemweg verengt und der Widerstand beim Ein- und Ausatmen ist höher. Die Stimmqualität ist bei diesen Patienten meistens recht gut, denn die Stimmlippen sind ja in Verschlussposition. Wenn der Verschluss jedoch so eng ist, dass Atemnot auftritt, dann ist es notwendig, durch eine Operation entweder eines der Stimmbänder etwas seitlich zu verlagern oder einen künstlichen Luftröhreneingang (Tracheostoma) auf der Höhe des Schlüsselbeins zu schaffen.
Schwierigkeiten bei Abhusten liegen eher bei den Fällen vor, bei denen eine oder beide Stimmlippen in Öffnungsstellung fixiert sind. Hierdurch verliert der betroffene Patient die Fähigkeit zum laryngealen Verschluss und zum Druckaufbau in den Lungen. Wir brauchen diesen thorakalen Druckaufbau bei verschiedenen Aktivitäten: Zum Heben schwerer Lasten, zum Luftanhalten, zum Husten, aber auch, wenn wir unseren Darm leeren. Dadurch, dass die Stimmlippen nun permanent geöffnet sind, kann unterhalb der Stimmlippen nicht mehr der zum Husten notwendige Druck in der Lunge aufgebaut werden und der Hustenstoß wird insuffizient. Dies kann oft ganz gut dadurch kompensiert werden, dass man vor dem ersten Hustenstoß die Lippen gut verschließt und dann zum Husten abrupt öffnet - so wie man es sonst mit den Stimmlippen tun würde.
Woran liegt es, dass man sich bei einer Stimmbandlähmung häufiger verschluckt und empfindlicher gegenüber scharfen Speisen wird?
Der Kehlkopf dient primär als Schutzmechanismus für die Luftröhre und schützt durch den Stimmlippenschluss die Lunge vor dem Eindringen von Speisen. Wenn dieser Schutzmechanismus beeinträchtigt ist, kann es also zu häufigerem Verschlucken kommen. Die Speisen an sich werden nicht schärfer, jedoch können sie weiter in den Kehlkopf vordringen als vorher, so dass der Reiz stärker wird. Ein Logopäde oder Sprachtherapeut kann auch in diesem Fall Empfehlungen zur Verbesserung des Schluckens geben. Schluckstörungen können eine ernste Sache sein und sollten unbedingt dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden, denn durch das Verschlucken von Speisen in die Luftröhre oder die Lunge kann es zu Lungenentzündungen kommen.
Dr. Tim Bressmann, Assistenzprofessor im Department of Speech-Language Pathology an der Universität Toronto