Können auch Tiere das Marfan-Syndrom haben?
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Der Mensch sieht sich ja selbst gerne als Krone der Schöpfung. Als Baumkrone wohlgemerkt, denn er hat ja einen langen, langen Stammbaum. Nach vielen Prototypen wie Tyrannosaurus rex, Archäopteryx und solchen Versagern wie dem Neandertaler bahnte die Evolution sich ihren Weg und machte Homo Sapiens Quartier. So außerordentlich sich Homo sapiens nun auf dieser Welt fühlen mag, besteht er doch nur aus Eiweißen, die es auch schon vor einer Milliarde Jahren bei unseren Vorfahren und gegenwärtigen Verwandten gab und gibt. Und so muß es alle menschlichen Erkrankungen, die mit Defekten dieser Eiweiße zusammenhängen, auch bei unseren Vorfahren und gegenwärtigen nahen, fernen und auch ganz fernen Verwandten gegeben haben und geben. Weil man so wenig von vererbbaren Erkrankungen bei Tieren hört, ist man leicht geneigt anzunehmen, es gäbe solche nur beim Menschen.
Das Marfan-Syndrom bei Tieren - nie davon gehört? In der Tat hört man nicht viel von solchen Erkrankungen, weil betroffene Tiere in der freien Wildbahn deutlich benachteiligt werden. Man stelle sich einen Fuchs mit subluxierter Linse oder einen sprintenden Geparden mit schlaffer Muskulatur oder ein flüchtendes Reh mit dilatierter Aorta vor. Es leuchtet ein, daß weder Räuber noch Beute eine lange Lebensdauer hätten. Anders verhält es sich in der Tierzucht bei Haus- oder Nutztieren. Hier selektiert der Mensch durch Zuchtauswahl und entscheidet, welche vererbbaren Merkmale erhalten werden sollen. Hier kommt es immer wieder zum Auftreten auch von Bindegewebserkrankungen, teils durch Inzucht, teils durch spontane Mutationen. Solche Tiere gelangen niemals auf den Markt, der Bauer "entsorgt" stillschweigend kranke Kälber, ebenso Zuchttiere, deren Nachkommen allerlei Merkwürdigkeiten zeigen.
Dies geschah auch mit einem Stier im US-Bundesstaat Washington, dessen Sperma zur Befruchtung diverser Kühe eingesetzt wurde. Die Kälber zeigten überstreckbare Gelenke und die Jungtiere starben plötzlich an Aortenrupturen. Eine Tierärztin im US-Bundesstaat Washington nahm sich dieser Kälber an und betreute eine kleine Herde. In Zusammenarbeit mit einem stellte sich bald heraus, daß diese Tiere das Marfan-Syndrom hatten. Muskuloskelettale Zeichen, Linsensubluxationen und Rupturen der Arteria pulmonalis waren vorhanden. Ferner produzierten Fibroblastenkulturen (angezüchtete Zellen im Laborversuch) dieser Rinder abnorme Mikrofibrillen und es wurde eine Fibrillinmutation auf einem Rinderchromosom identifiziert, das dem menschlichen Chromosom 15 entspricht.
Ich verfolgte die entsprechenden Veröffentlichungen begeistert, denn nun gab es ein Tiermodell des MFS. Und besser noch, alle Tiere hatten die gleiche Fibrillinmutation - was kann es besseres geben für pharmakologische Studien? Endlich nun könnte man einer Gruppe von Rindviechern die berühmten beta-Blocker geben, und der anderen nicht. Das wäre der endgültige, alle Kritiker zum Schweigen verdammende Beweis; gespannt wartete ich auf Ergebnisse. 1994 in Berlin hielt ich Ausschau nach relevanten Daten; 1995 erfuhr ich, daß es Schwierigkeiten gab, Geld für beta-Blockerversuche mit den Kühen aufzutreiben. In der Tat verbraucht eine Kuh mehr beta-Blocker als Homo sapiens. Daraufhin bot ich an entsprechende Mengen an beta-Blockern über deutsche Kanäle locker machen zu wollen. Ich erhielt nie eine Antwort. beta-Blocker sind eigentlich Allerweltsmedikamente und können so teuer nicht sein. Wenn man sie mit dem Fallschirm abwerfen würde, selbst wenn einige Säcke platzen würden, wäre noch genug da. Im Jahre 100 nach Marfan durchforstete ich die für das Marfan-Symposium in Davos eingereichten Abstracts und Vorträge: keine Spur. Leicht fassungslos stellte ich beim Podiumsgespräch in Davos die Frage was denn nun mit den MFS-Kühen sei. Ich wurde mit amüsierter Herablassung beschieden, daß Kühe nicht nur viel Heu, sondern auch viel beta-Blocker vertilgen, so daß das alles sehr kostspielig sei. Außerdem müsse die inzwischen sehr stark zusammengeschrumpfte Herde wieder wachsen, hierfür brauche es noch Sperma des betreffenden Bullen (das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle Heiterkeit. Wer es fassen kann, der fasse es! Mittlerweile sieben Jahre sind in die Länder gezogen, und noch nichts Vernünftiges ist mit diesen Kühen angestellt worden. Statt dessen wurden in den letzten Jahren mit entsprechendem Aufwand und Publicity in New York Mäuse hergestellt, die ein zusätzliches defektes Fibrillin-Gen eingebaut bekommen haben.
Man höre und staune - diese Mäuse haben Symptome eines MFS! Das haut einen, bei dem Menschen mit Fibrillinmutationen und MFS zur Tür hereinkommen nun nicht gerade vom Stuhl. Weil transgene Mäuse aber modern sind, das Ganze sehr aufwendig und teuer war und experimentell sehr gut gemacht war, konnte diese Arbeit 1997 in Nature Genetics (ein Traumblatt für jeden Wissenschaftler) publiziert werden. Was diese Mäuse nicht haben sollte auch gleich erwähnt werden, nämlich den Gendefekt an der richtigen Stelle im Erbgut und den gleichen Blutdruck wie Homo sapiens. Groß angekündigt war daher auch vor etwa drei Jahren die Herstellung von transgenen Schweinen, die einen dem Menschen vergleichbaren Blutdruck haben. Die NMF (amerikanische Marfan Stiftung) beschrieb dies ausführlich in einem Feature über die von ihr gesponsorten Forscher. Von den Kühen habe ich im Mitteilungsblatt der NMF nie wieder etwas gelesen, von den Schweinen auch nie wieder. Vermutlich hat eine Lobby das Hopkins-Schwein und die Mt. Sinai-Maus stark in den Vordergrund gerückt und die Kuh-Herde an den Rand gedrückt. Das nennt man wohl Politik, wenn nicht gar Machtpolitik. Nun wird es wohl an Mäusen für die Schweine fehlen und so werden wir bis zum St. Nimmerleinstag auf dieselben warten. Ich kann nur aus der europäischen Sicht der Dinge sagen, daß man mit dem Geld, das in die Mäuse in New York gesteckt worden ist sicherlich eine vernünftige beta-Blockerstudie mit den Marfan-Kühen hätte durchführen können. Es wäre sicher interessant herauszufinden warum derart wichtige Studien unterblieben, wenn nicht gar unterdrückt worden sind. Das Verhindern einer Aortenruptur durch beta-Blocker wäre doch eine enorme Reklame für eine entsprechende Pharma-Firma. Woran hakt es also? Das müßte doch, jenseits aller Eitelkeiten, herauszufinden sein.
Professor Dr. Michael Raghunath, Dermatologe WWU Münster (jetzt Singapur)